Das Kreuz mit dem Kreuz
Die einen sind begeistert vom Karlsruher Kreuz-Urteil, Die anderen entgeistert - weil vom Verschwinden des HL. Geistes b droht. Und obwohl das Urteil besonders die Bayern spaltet (Niedersachsen übt schon lange Neutralität und in ihm auch Uelzener Schulen jedenfalls mit diesem Kreuz) - füllt es auch norddeutche Medien. Einschließlich dieser Zeitung. Ich liebe das Kreuz, sowohl das schlichte als auch das mit dem Gekreuzigten. Ich fahre gern durch und in Länder, wo mir das Kreuz als mahnendes oder ermutigendes Symbol für meine Religion und ihren Stifter begegnet: Unten an Straßenrändern in den Tälern, oben auf Bergspitzen. Ich eifere in dieser Vertrautheit mit den Symbolen der Kirche der Lieblingsromanfigur meiner Jugend nach: Dem Priester Don Camillo. Dennoch sind diese „Orte mit Kreuz" alle keine öffentlichen Dienstgebäude und die Karlsruher haben gewiss das Kreuz nicht. aus einem kirchlichen Krankenhaus oder einer kirchlichen Schule wegempfohlen. Sondern aus staatlichen Räumen. Und nur auf Antrag hin. Wer das Kreuz liebt, der kann es suchen gehen und wird nicht lange dazu brauchen, um es zu finden. Etern, die keine Nähe zum Kreuz für ihr Kind wollen die brauchen es nicht in einen Ev. Kindergarten oder ein katholisches Krankenhaus oder eine konfessionell gebundene Schule zu geben. Das Kreuz gehört außerdem keinem. Es ist nicht nur unser Symbol unserer christlich geprägten abendländischen Kultur: Lange vor Christi Geburt stand das Kreuz als Symbol (mit seinem vertikalen Balken) für die Verbindung von Erde zu dem, was über dieser ist (dem Himmel ohne besonderen Besitzanspruch einer bestimmten Religion). Das Kreuz war Symbol für den aufrecht stehenden Menschen mit seinen ausgestreckten Extremitäten (siehe alte Höhlenzeichnungen der Steinzeit), war Symbol für die vier Himmels-Richtungen (obwohl diese Perspektive mehr von der Erde aus galt: Norden, Süden, Osten, Westen), war Symbol für die vier Elemente (Wasser, Erde, Feuer, Luft). Es stellte mit seinem aufwärtsstrebenden Längsbalken männliche, mit seinem alles tragenden Querbalken das weibliche Prinzip dar. Was Wunder, daß der Schnittpunkt beider Balken längst vor dem Kreuz Christi eine besondere Kraftquelle, Energie schlechthin darstellte. Soviel zum Guten. Was alles Schlechtes im Zeichen desselben Kreuzes getrieben wurde, nun des christlichen, das haben wir gelernt: Kreuzzüge nach außen, um christlich Land zu erobern- oder Kreuzzüge nach innen, um Seelen zu retten oder zu verrotten. Für alles dies kann das Symbol selbst, das Kreuz nichts. Wir besetzen es mit unseren persönlichen und kollektiven Gefühlen. Im 2. Weltkrieg fingerten manche Soldaten bei der Besetzung von Fremdgebiet ihr halsgetragenes Kreuz zutage, um verängstigten Einwohnern zu zeigen: Wir tun euch nichts Schlimmes - wir glauben an dasselbe Gute wie ihr! Solche Entlastungs-Funktionen wird das Kreuz beibehalten, wo immer Menschen sich damit erklären wollen. Immer mehr Menschen mitten im norddeutschen Landkreis Uelzen - stellen Kreuze an den Straßenrändern auf, wo ihnen nahe Menschen tödlich verunglückt sind. Und vermutlich nimmt kein Mensch oder gar Urteil diese Kreuze weg. Eben nur in Schulstuben. Auf besonderen Antrag hin.
12. September 1995